Europa

Wochenkolumne - Ein Krieg mitten in Europa

24.02.2022

Der "Worst Case" ist eingetreten

Ich will mich nicht zu irgendwelchen politischen Dingen auslassen und auch nicht über wirtschaftliche Folgen dieser beispiellosen Aggression. Ich möchte einmal eine ganz andere Perspektive darstellen, eine, die uns viel mehr betrifft, die in meinen Augen viel näher an jedem von uns ist. 

 

Wir mussten unseren Kindern eine Pandemie erklären, ohne dass wir selber so richtig wussten, was es ist. Über 2 Jahre mussten wir über Isolation, Einschränkungen der Grundrechte und beispielloses Leid reden. Wir mussten den Kids erklären, warum es wichtig ist in Isolation zu leben und ihnen beibringen trotzdem irgendwie klar zu kommen. Diese Herausforderung ist noch gar nicht zu Ende, da müssen wir unseren Kindern erklären, was Krieg bedeutet, ein Krieg, der direkt vor unserer Haustür stattfindet. Auch ich habe hier noch keinen Krieg erlebt, ich muss selbst erst einmal in Geschichtsbüchern blättern, um mir einen Eindruck des Leids machen zu können, was ein solcher Krieg hervorruft. 

 

Millionen von Menschen werden vor diesem Krieg fliehen, nach Polen, nach Tschechien, nach Ungarn und auch nach Deutschland. Wir werden erneut mit einer ungebremsten Zuwanderung rechnen müssen, werden erneut Menschen ein neues zu Hause geben müssen. Doch was sagen wir unseren Kindern? "Das ist weit weg, mach Dir keine Sorgen", nun, vor einigen Wochen haben wir gesagt:"Das passiert nicht, so verrückt kann niemand sein". Passiert ist es letzte Nacht trotzdem. 

 

Es ist nicht weit weg. Es ist nah. Wir alle kennen Menschen dort, so z.B. der ehemalige Boxweltmeister Klitschko, Bürgermeister von Kiew, der vor kurzem noch angekündigt hat, in diesem Krieg für sein Land zu kämpfen. Jetzt wird es dazu kommen. Also, weit weg? Nein, ist es nicht! Zum ersten Mal seit 1945 greift eine Weltmacht wie Russland mitten in Europa an und führt einen offenen Krieg. 

 

Wie weit Russland geht, wie lange es dauert, das sind aktuell nur Spekulationen. Aber das Schlimmste zu befürchten ist nicht irreal, sondern viel realer, als wir es zu glauben wagten. Doch was sagen wir unseren Kindern? So zu tun, als betreffe es uns nicht, geht ja gar nicht. Denn es wird schließlich auch auf den Frieden außerhalb der Ukraine ankommen. Begegnet man diesem Krieg mit Gleichgültigkeit, wird Russland sich bestärkt fühlen. Wir müssen unseren Kindern wieder einmal erklären, was es bedeutet eine gefährliche, neue Situation anzunehmen, Es wird diesmal nicht in Isolation enden, nicht in der Einschränkung der persönlichen Grundrechte. Doch es wird die Welt erneut verändern, wir erinnern uns alle noch schwach an die Zeiten des "Kalten Krieges". An die Ängste und Sorgen, die täglich die Welt bewegten. 

 

Unsere Kinder erleben die wohl schwerste Zeit seit 1945, und auch noch davor. Kinder lernen Krisen zu durchleben, lernen dabei ohne Verschnaufpause von der einen in die nächste zu geraten. Sie sind angeschlagen, psychisch belastet. Rund 60 % aller Kinder zwischen 6 und 18 sind das. Nun kommt ein weiterer Punkt hinzu, die Angst vor einem Krieg, wo wir alle noch nicht wissen welche Auswirkungen entstehen, ähnlich wie beim Beginn der Pandemie vor über 2 Jahren. 

 

Meine Gedanken sind natürlich bei den Ukrainern, natürlich bei den Familien, die durch den Krieg Ihre Angehörigen verlieren werden, aber sie sind auch bei unseren Kindern, bei meiner Tochter. Denn sie ist gerade einmal 14 Jahre alt und erlebt eine Jugend, die beispiellos in der Geschichte der letzten 100 Jahre ist. Und wie es scheint sind die Zeiten der Entbehrungen, der Einschränkungen, der Angst noch nicht vorbei.

 

Ich wünsche mir wieder eine Perspektive für unsere Kinder, eine Zeit, in der ohne Angst und ohne Einschränkungen das Leben ansteht. Ohne Angst genießen zu können. Ich wünsche mir Momente, die mich an meine eigene Jugend erinnern. Die Party ohne Genehmigung der Eltern, die erste große Liebe, ausgelassene Events, den Besuch in der Disko, tanzen und feiern, ich erinnere mich daran und wünsche mir, meine Tochter lernt all dies kennen, unter besseren Vorzeichen als es aktuell der Fall ist. 

 

In diesem Sinne, Herr Putin, denken Sie mal darüber nach. 

 

Ihr Michael Maus

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